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Donnerstag, 5. Juli 2012

Wandern ist des Künstlers Last

Migration und Kunst

Von Florian Welle

Wenn Menschen migrieren, dann setzen ihre Erfahrungen Energien frei, die zu neuen Ideen führen. Wanderungen über nationale Grenzen hinweg haben die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts deutlich geprägt. Eine Tagung hat sich nun mit dieser Prägung befasst - und mit der Frage nach dem eigenen Rassismus.

Migration ist eines der zentralen Themen unserer Zeit und bestimmt gemeinsam mit Einwanderung und Integration mal mehr, mal weniger stark den politischen Diskurs. Debatten über Migration sind immer auch solche über die eigene Identität und die Frage: Was ist deutsch? In den sechziger und siebziger Jahren diskutierte man über Gastarbeiter und machte daraus ein "Türkenproblem". Die achtziger Jahre waren das Jahrzehnt des Asyls, Metaphern wie "Überflutung" und "Das Boot ist voll" prägten diese Zeit. Seit Mitte der neunziger Jahre sind es illegale Migranten, die nach weit verbreiteter Ansicht möglichst an den Rändern Europas gestoppt werden müssen. Damit einher geht eine Grenz- und Exklusionsmetaphorik.




Kinder ausländischer Arbeiter spielen vor einer Schule in Peking: Nicht nur die Identität des Einzelnen, auch die Kunst wird durch Migration geprägt. (© AFP)

Gleich mehrere Referenten der Tagung "Migration und künstlerische Produktion", die am Wochenende in München am Center for Advanced Studies stattgefunden hat, verwiesen in ihren Beiträgen zunächst auf diese entscheidenden Etappen im Umgang mit Migration in Deutschland, um sodann fast unisono für eine Entkoppelung der politischen Diskussion vom Tagungsthema einzutreten.
 
Die Münchner Kunsthistorikerin Burcu Dogramaci, die zu dem interdisziplinären Symposion eingeladen hatte, verwies gleich zu Beginn auf eine Arbeit der Künstlerin Claire Fontaine mit dem programmatischen Titel "Foreigners Everywhere" und deutete damit an, dass das Fremdsein im Grunde conditio humana ist. Auch für den Berliner Migrationsforscher Mark Terkessidis, der zuletzt mit seinem viel diskutierten Buch "Interkultur" tagesaktuell intervenierte, ist Migration eine "Normalerfahrung", die nicht immer wieder aufs Neue erklärt werden muss - im Kreise der Anwesenden, die wie Deniz Göktürk (Berkeley) und Ortrud Gutjahr (Hamburg) seit Jahrzehnten zum Thema forschen, schon gar nicht.

Stattdessen debattierte man die Frage, ob und in welcher Weise die Erfahrung von Aus- und Einwanderung die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts formal wie inhaltlich geprägt haben könnte. Ein noch junges Forschungsfeld.

Am Ende der Tagung standen mehr Fragen als konkrete Antworten im Raum. Man gewann den Eindruck, dass die Redner aus der Kulturanthropologie, aus Theater-, Filmwissenschaft und Kunstgeschichte das Thema überhaupt erst einmal für sich und ihre Disziplin in den Griff nehmen wollten. Während etwa die Geschichtswissenschaft mit dem stetig verfeinerten Konzept des "Kulturtransfers" mittlerweile über ein tragfähiges Rüstzeug verfügt, um herauszufinden, wie kulturelle Güter und geistige Strömungen von einem Land in ein anderes gelangen, fehlt ein solches offensichtlich noch in den genannten Fächern. Vielmehr war von biografischen Herangehensweisen bis zu diskursanalytischen Ansätzen alles vertreten.

Denkfigur der Leere
So hielt etwa die Hamburger Kunsthistorikerin Mona Schieren einen durchaus interessanten Vortrag über die amerikanisch-kanadische Künstlerin Agnes Martin und deren berühmte Rasterbilder. Diese sind vom Taoismus und der "Denkfigur der Leere" beeinflusst, und Schieren konnte zeigen, dass Agnes Martin Laotse in der Übersetzung von Witter Bynner gelesen hat.

Wenn aber der Vortrag "Zur Migration von Denkfiguren und transkulturellen Aneignungsprozessen" überschrieben ist, dann sollte man konkret der Frage nachgehen, wie repräsentativ Bynner für die damalige Zeit gewesen ist und wer außerdem den für die amerikanische Kunstszene der fünfziger Jahre prägenden asiatischen Diskurs über den Ozean getragen hat.

Den eigenen Rassismus untersuchen
Es gibt viele Formen der Migration. Menschen verändern ihren Lebensmittelpunkt nicht nur aus politischer, sozialer und wirtschaftlicher Not, sondern auch freiwillig, einfach aus Neugierde oder weil man es sich leisten kann. Der Südkoreaner Nam-June Paik, dem Mark Terkessidis unter anderem seinen Vortrag widmete, war solch ein Künstler. Wenn Künstler emigrieren, dann setzen ihre Erfahrungen, so der Tenor nicht nur von Terkessidis Beitrag, Energien frei, die zu neuen künstlerischen Ideen führen. Deshalb gibt es auch keine "Ästhetik der Migration", sondern höchstens "Ästhetiken". Darin waren sich am Ende alle einig.

Weniger einig war man sich, als es darum ging, Künstler wie Fred Wilson zu beurteilen. Dieser thematisiert das Schicksal von Migranten mit einem aufklärerisch-kritischen Gestus. Sehr flink waren da Teilnehmer mit ihrer Einschätzung bei der Hand, dessen Werke würden auch nur wieder mit "stereotypen, ethnisierenden Bildern des Fremden" arbeiten und keine wirklichen "Gegenbilder" produzieren. Sehr befreiend wirkten da Ortrud Gutjahrs provokative Einwürfe: "Mich interessiert, wie Stereotype funktionieren!" Und damit verbunden: "Für mich ist es spannender, meinen eigenen Rassismus zu untersuchen!"

SZ-Online


Turbo-Abi: SPD macht Front gegen "Zwangs-G8"

Rückkehr zu neun Jahren Gymnasium?

Ulm/Stuttgart - Turbo-Abitur nein, Diplom ja: Die baden-württembergischen und die bayerischen Genossen machen bei ihrem Ulmer Treffen bildungspolitische Aufschläge.


In Baden-Württemberg hat die SPD bereits durchgesetzt, dass an 44 Gymnasien das Abitur nach neun Jahren wieder möglich wird.

Die SPD-Fraktionen in Baden-Württemberg und Bayern haben das neunjährige Gymnasium noch nicht aufgegeben. Bei einem Treffen in Ulm vereinbarten die Fraktionschefs Claus Schmiedel (Baden-Württemberg) und Markus Rinderspacher (Bayern), mit einer Studie die konkreten Auswirkungen des Turbo-Abiturs in acht Jahren auf Familie, Vereine und bürgerschaftliches Engagement untersuchen zu lassen. “Das Zwangs-G8 hat bei vielen Familien dazu geführt, dass der Samstag zum heimlichen Schultag wird“, sagte Schmiedel. Seine SPD hat in Baden-Württemberg bereits durchgesetzt, dass an 44 Gymnasien das Abitur nach neun Jahren wieder möglich wird. Die Unions-geführten Regierungen hatten vor einigen Jahren in beiden Ländern das sogenannte G8 eingeführt.


Die oppositionelle Bayern-SPD will noch weiter gehen: “Wir in Bayern wollen die Oberstufe flexibler gestalten: Schüler sollen Lerninhalte mehr als bisher selbst wählen können und entscheiden, ob sie die Oberstufe in zwei oder drei Jahren durchlaufen wollen“, sagte Rinderspacher. Sein Stuttgarter Kollege Schmiedel dringt ebenfalls schon länger darauf, dass die starre Begrenzung von 44 Schulen aufgegeben wird, doch die Grünen sind dagegen.

Schneller Ausbau der Verkehrsachsen in Süddeutschland


In ihrer “Ulmer Erklärung“ sprechen sich Schmiedel und Rinderspacher außerdem dafür aus, zu prüfen, ob in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern wieder ein Diplom eingeführt werden kann. Das würde bedeuten, dass diese Fächer aus dem Bologna-Prozess mit der Umstellung der Studiengänge auf die Bachelor-Master-Struktur herausgenommen werden müssen. Hintergrund ist aus SPD-Sicht, dass die Übergangsquoten von den Bachelor- in die Masterstudiengänge in diesen Fächern so hoch sind, dass dies auf Dauer zu teuer werde.

Die SPD-Fraktionen forderten zudem Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zu mehr Tempo beim Ausbau der Verkehrsachsen in Süddeutschland auf. Der Bund müsse den wichtigen West-Ost-Verbindungen finanziell und zeitlich Vorrang einräumen. “Der Bund muss seine Gelder künftig dort konzentrieren, wo der Druck am größten ist“, sagte Schmiedel. Der dringend nötige Ausbau der Autobahn 8 stocke vor allem beim Albaufstieg. Die Fraktionen dringen zudem darauf, dass bald die neue ICE-Strecke zwischen Ulm und Augsburg angegangen wird.
dpa






Mittwoch, 4. Juli 2012

Den digitalen Graben überwinden

Gescheitertes Acta-Abkommen
Ein Kommentar von Dirk von Gehlen



Das Anti-Piraterie-Abkommen Acta ist im Europäischen Parlament gescheitert. Die digitale Zivilgesellschaft hat ihren Protest gegen eine Politik der Vergangenheit erfolgreich auf die Straße getragen hat. Jetzt muss die Politik endlich Schlüsse aus der neuen Lebensrealität ziehen und mit den Kritikern Lösungen für ein modernes Urheberrecht finden.


Um zu verstehen, welche Folgen sich aus der heutigen Abstimmung im Europaparlament über das Handelsabkommen Acta ergeben, könnte man europäische und deutsche Urheberrechtstexte wälzen, man könnte den Lauf von Verhandlungen multilateraler Abkommen recherchieren - oder man sucht einfach einen Song der Hamburger Band Deichkind heraus.



Er trägt den Titel "Illegale Fans" und ist so etwas wie der Soundtrack zum illegalen Downloaden. Dessen Eindämmung hatte Acta unter anderem zum Ziel - mit unverhältnismäßigen Mitteln wie die zahlreichen Kritiker bemängeln, die Anfang des Jahres zur Überraschung der breiten Öffentlichkeit auf die Straße gingen. Ihrer Meinung nach hätte es Acta ermöglicht, Privatpersonen wegen Kopierens einer CD zu belangen oder es den Zollbehörden erlaubt, private Laptops zu durchsuchen.

Der Deichkind-Song handelt nicht von Provider-Haftung oder von härterer Rechtsdurchsetzung, er beschreibt vielmehr wie die illegale Nutzung von Tauschbörsen für eine wachsende Bevölkerungsgruppe zum popkulturellen Distinktionsmerkmal geworden ist. Weil ihre Lebensrealität kriminalisiert wird, reagieren sie mit Protest: "Keine Macht für niemand", heißt es in Anspielung auf den Ton Steine Scherben-Klassiker, "Wir werden uns nicht stellen. Ihr seid das Imperium, wir sind die Rebellen."


Digitaler Graben
Die Debatte um ein zukunftsfähiges Urheberrecht ist mittlerweile so verfahren, dass Bands bereits Songs darüber schreiben, die illegales Downloaden zum Kriterium für Coolsein erheben. So klingt es also, wenn man den digitalen Graben, der die Gesellschaft durchzieht, beständig ignoriert und den Herausforderungen der Zukunft lediglich die Rezepte der Vergangenheit entgegenzusetzen hat.

Es zählt zu den zahlreichen Paradoxien des digitalen Raums, dass Deichkind diesen Song übers illegale Downloaden sehr legal verkaufen - und nicht wenige Menschen ihr Album "Befehl von ganz unten" auch käuflich erworben haben. Sie treffen damit aber offenbar eine Stimmung, die sich bei den Anti-Acta-Demonstrationen Anfang Februar europaweit ausdrückte: der Widerstand gegen die Politik der Rechtsdurchsetzung der vergangenen Jahre, die im Fall von Acta von vielen als einseitiges Klüngeln großer Lobbygruppen wahrgenommen wurde.
Die Geheimverhandlungen zu Acta bestätigten ihnen den Eindruck, dass demokratische Spielregeln missachtet wurden, um einseitig Interessen durchzusetzen.

Urheberrechtsbruch als Coolness-Faktor
Die Reaktion der "Illegalen Fans": Sie erheben den Bruch urheberrechtlicher Spielregeln selber zum Coolness-Faktor. Sie erfreuen sich daran, auch bei Androhung noch härtere Strafen nicht greifbar zu sein und verlieren dabei die letzte Einsicht in die Notwendigkeit eines funktionierenden Urheberrechts. Angesehene Juristen wie Axel Metzger von der Uni Hannover fordern deshalb schon lange, "Druck aus dem Kessel zu nehmen" und die Politik der einseitigen Rechtsdurchsetzung zum Beispiel durch pauschale Abgabemodelle abzulösen. Alles andere würde die schwindende Einsicht ins Urheberrecht nur weiter minimieren.


Die heutige Entscheidung des Europaparlaments gegen Acta muss in diesem Zusammenhang als Hoffnungszeichen gewertet werden. Sie ist der Beweis dafür, dass demokratische Spielregeln sehr wohl gelten und sie ist die Aufforderung an alle gesellschaftlichen Gruppen, jetzt nach Lösungen zu suchen, diese Spielregeln im Urheberrecht auf eine legitimierte Grundlage zu stellen.


Kultureller Schaden
Dazu gehört zunächst, den illegalen Fans zu zeigen, dass in der Illegalität kein Zauber liegt, sondern kultureller Schaden. Das kann aber nur dann gelingen, wenn man die Auslöser für die vermeintliche Illegalität versteht. Man muss die Beweggründe und die Lebensrealität derjenigen anerkennen, die gegen Acta aufbegehrt haben - und daraus Schlüsse ziehen.


Spätestens mit dem heutigen Tag betritt ein Spieler die europäische Bühne, auf den sich die Politik erst einstellen muss: Die digitale Zivilgesellschaft hat in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie eine gewichtige Stimme in der Debatte um die Folgen der Digitalisierung ist.
Daraus erwächst jetzt auch einen gewichtige Verantwortung. Sie darf sich nicht dem Reflex hingeben, den die Band Deichkind nutzt. Es geht um mehr als darum, eine gesellschaftliche Stimmung zu bedienen. Es geht darum, Lösungen für ein Urheberrecht zu finden, das eine angemessene Vergütung sicherstellen kann, aber eben auch anerkannt wird von der Bevölkerung.


SZ-Online