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Dienstag, 27. März 2012

Nichts ist unpolitisch


Buchvorstellung und Diskussion mit der Religionssoziologin Helen Rose Ebaugh


Der Theatersaal im Münchner Amerikahaus war bis auf den letzten Platz besetzt, als die amerikanische Soziologin Helen Rose Ebaugh am Samstag, dem 24. März ihre empirische Studie zur Gülen-Bewegung vorstellte. Ziel der in den 1960er Jahren von Fethullah Gülen ins Leben gerufenen Bewegung ist, sozial benachteiligten jungen Menschen durch Bildung neue Perspektiven zu bieten. Weltweit wird die Gülen-Bewegung von über zehn Millionen Menschen meist türkischer Herkunft unterstützt und unterhält Einrichtungen in etwa 120 Ländern. Auch in Deutschland, wo die Bewegung, die sich selbst Hizmet (Dienst) nennt, nicht unumstritten ist, betreibt sie mehrere Schulen. Immer wieder jedoch sieht sich die Bewegung mit dem Vorwurf konfrontiert, eine geheime islamistische Agenda zu verfolgen.

Ebaugh hingegen sieht die Gülen-Bewegung durchweg unkritisch. In ihrer fünfjährigen Forschungsarbeit beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit den beiden Fragen "Woher kommen die finanziellen Mittel der Gülen-Bewegung?" und "Was motiviert die Freiwilligen zu ihrem großen Engagement?". Bei Forschungsreisen führte sie Interviews mit 103 Unterstützern aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Die Frage nach dem Ursprung der finanziellen Mittel sei schnell beantwortet gewesen, erzählt Ebaugh. So sei es bei Unterstützern üblich, zwischen 5 und 20 Prozent des Jahreseinkommens zu spenden. Und da sich viele erfolgreiche Geschäftsmänner unter ihnen befinden, betragen die Spenden oft auch mehrere Millionen. Diese gute finanzielle Ausstattung erlaube es der Gülen-Bewegung, ihre zahlreichen Bildungseinrichtungen gut auszustatten und Jugendlichen, die sonst wenig Chancen hätten, eine exzellente Ausbildung zu ermöglichen.

Die große Motivation der Mitglieder sieht Ebaugh unter anderen in der horizontalen netzwerkähnlichen Organisation der Bewegung, die sich aus vielen kleinen, hoch motivierten Gruppen von etwa 10 bis 15 Mitgliedern zusammensetzt. Ebaugh schildert die Gülen-Bewegung als moderat islamisches Netzwerk ohne konkrete politische Ziele, die von Zielen und Beweggründen her mit vielen religiösen Bewegungen anderer Glaubensrichtungen vergleichbar sei. Die drei Alleinstellungsmerkmale seien lediglich, dass sie ihren Ursprung in der Türkei habe, dass sie islamisch sei und ihre Organisation horizontal organisiert. Aufgrund dieses Fehlens jeglicher hierarchischer Strukturen sei es auch so schwierig, konkrete Angaben über Aktivitäten und Unterstützer zu erhalten – was in der Öffentlichkeit oft als fehlende Transparenz bemängelt würde.

Im Anschluss an den Vortrag Ebaughs wurde bei den Fragen des Publikums unter anderem der Vorwurf, die Gülen-Bewegung betreibe intensive politische Meinungsbildung angesprochen. Ebaugh räumte unter dem Stichwort "nothing ist non-political" ein, dass eine derart große und reiche Bewegung natürlich das Potenzial habe, politisch aktiv zu werden. Jedoch bekräftige sie, dass sie derzeit keinerlei Anzeichen für eine politische Aktivierung sehe. Vielmehr sei es Ziel der Gülen-Bewegung, durch gute Bildung aller Bürger die Grundlage für eine starke Demokratie zu schaffen.




Helen Rose Ebaugh ist Professorin für Religionssoziologie und Erforschung der Weltreligionen an der University of Houston. Ihr 2009 in den USA veröffentlichtes Buch , in dem sie anhand von Interviews und Besuchen vor Ort die Gülen-Bewegungbeschreibt, erschien 2012 unter dem Titel "Die Gülen-Bewegung – Eine empirische Studie" auf Deutsch.


Das Interkulturelle Dialogzentrum e. V. (IDIZEM) engagiert sich seit 2001 in München und Umgebung für den Dialog der Kulturen und Religionen. Für sein Engagement wurde IDIZEM im Jahre 2006 mit dem Ökumeneförderpreis und im Jahre 2007 mit dem Preis „Münchner Lichtblicke“ ausgezeichnet.

Sonntag, 25. März 2012

Soziologin: „Gülen-Bewegung muss Rolle der Frau neu definieren“

Die amerikanische Soziologin Helen Rose Ebaugh hält die Gülen-Bewegung für eine ungefährliche Bewegung. Die Bewegung habe sich auf die Förderung von Bildung festgelegt - ohne versteckte islamistische Agenda. Allerdings müssten die Gülen-Anhänger den Frauen mehr Sichtbarkeit in der Bewegung geben.    


 „Es gibt noch einige Herausforderungen, die die Bewegung überwinden muss“, erklärt Helen Rose Ebaugh im Interview mit den Deutsch Türkischen Nachrichten. Eine der wichtigsten sei die Rolle der Frauen. Vor allem in Houston, wo sie an der Universität lehrt, habe die Professorin für Religionssoziologie und Erforschung der Weltreligionen sofort gesehen, dass hier Frauen keine große Rolle spielten, sie hätten höchstens im Hintergrund agiert.
Sie vermutet, dass das beispielsweise an mangelnden Sprachkenntnissen liegt, denn in Ländern wie Belgien oder Deutschland habe sie das Gegenteil gesehen. Viele erfolgreiche ambitionierte Frauen seien hier Teil der Bewegung. Auch bei den deutschen Gülen-Vereinen gibt es bereits den einen oder anderen, bei dem Frauen auch öffentlich tätig sind. Allerdings, so bestätigen Mitglieder der Bewegung, sei die Mitwirkung von Frauen an prominenter Stelle tatsächlich noch eines der Defizite, das die Bewegung überwinden müsse.
Die Gülen-Bewegung ist umstritten. Sie ist nach dem islamischen Gelehrten Fethullah Gülen benannt, der in seinen Schriften einen Islam der Toleranz und des Dialogs propagiert (Gülen in einem der seltenen Interviews – hier). Bildung, Wissenschaft und Demokratie sind nach Gülens Einschätzung gut mit dem Leben der Muslime vereinbar.
Gülens Kritiker sind dagegen der Ansicht, Gülen versuche mit einem heimlich errichteten „Imperium“ den türkischen Staat zu unterwandern und nutze die Demokratie nur als Trittbrett. Die Gülen-Gegner, die vor allem aus den alten kemalistischen Eliten der Türkei stammen, behaupten, dass Gülen plane, auf dem Boden der Türkei einen islamistischen Gottesstaat zu errichten.
Fünf Jahre lang hat Ebaugh zur Gülen-Bewegung geforscht. Sie gilt als die beste, unabhängige Kennerin der Bewegung. Ihr Buch „Die Gülen Bewegung – Eine empirische Studie“ ist nun auch auf Deutsch erschienen. Ebaugh erzählt, dass sie sich zu Beginn ihrer Studie vor allem gefragt habe: „Woher nehmen diese Leute das ganze Geld?“ Ihre Untersuchungen hätten ergeben, „dass es keine dunklen Kanäle gibt“. Ebaugh: „Es ist in der Tat so, dass alles von Spenden der Mitglieder und von Unterstützern kommt.“ Praktisch jeder Anhänger der Bewegung spende Geld, das dann den Projekten zugutekommt. Die meisten Anhänger sagten ihr, dass sie im Durchschnitt 10 Prozent des Jahreseinkommens spendeten. Zudem seien viele wohlhabende Geschäftsleute bereit, sogar auch mehr als 20 Prozent zu spenden.


In ihren soziologischen Studien stützt sie sich auf zahlreiche Einzel- und Gruppengespräche mit Unternehmern, Angestellten und Arbeitern aus der Türkei und Houston, Texas. Dort blüht die Bewegung besonders auf: 26 Gülen-inspirierter Schulen wurden in den vergangenen Jahren aus dem Boden gestampft. In den Vereinigten Staaten gibt es mittlerweile 65 sogenannte „Harmony“-Schulen (im Irak eröffnete kürzlich eine der Bewegung nahestehende Schule – mehr hier). Die Schulen sind – wie überall auf der Welt – auch für Nicht-Muslime sehr begehrt, denn sie bieten, wie Ebaugh bestätigt, „Top-Unterrichts-Qualität vor allem in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften“.
„Die Stärke der Bewegung liegt daran, dass sie nicht hierarchisch ausgelegt ist, sondern aus losen Netzwerken besteht“, so Ebaugh. Durch die lokale Unabhängigkeit werde die Bewegung auch Fethullah Gülen selbst überleben, glaubt sie. Doch außer dieser Tatsache und, dass die Bewegung türkische Wurzeln habe und dem Islam entspringe, unterscheide sie sich nicht von anderen religiösen Bewegungen, die sich auch dem „Dienst am Menschen“ verschrieben haben. Daher glaubt Ebaugh, dass die Bewegung auch in Zukunft „vor allem in türkischen Milieus stark sein wird“.
Helen Rose Ebaugh war erstmals nach den Ereignissen vom 11. September 2001 durch ein Inserat in der Washington Post auf Gülen aufmerksam geworden. In dem Inserat hatte Gülen als erster muslimischer Repräsentant die Anschläge auf das World Trade Center in scharfen Worten verurteilt. Ebaugh erinnert sich noch an die „regelrechte Hetzjagd auf Muslime nach dem 11. September“: „Jeder war prinzipiell verdächtig, viele trauten sich kaum mehr aus dem Haus.“ Daher war es nur folgerichtig, dass im Westen die Suche nach einer „moderaten islamischen Bewegung“ begann. In diesem Zusammenhang begann sich die amerikanische Öffentlichkeit für den bis dahin eher unbekannten Prediger aus der Türkei zu interessieren.
Ebaugh kennt die Vorwürfe, die Gülens Gegner gegen die Bewegung vortragen. So habe auch „prinzipiell Verständnis für die Ängste“. Allerdings: „Wir haben mit zahlreichen Gülen-Kritikern in der Türkei gesprochen. Ich habe zu allen gesagt: Geben Sie mir Daten, geben Sie mir Fakten. Ich habe nichts bekommen.“ Etliche der Kritiker hätten sogar eingeräumt, dass sie gar niemand aus der Bewegung kennen.
Auch den Verdacht, die Gülen-Leute unterwanderten systematisch die AKP, sei nicht durch harte Fakten belegt. Ebaugh: „Bei einer solch großen Bewegung ist es nur normal, dass es auch Mitglieder gibt, die in der AKP eine Rolle spielen. Eine systematische, gar strategische Unterwanderung kann ich nicht erkennen.“


Soziologin: „Gülen-Bewegung muss Rolle der Frau neu definieren“ | DEUTSCH TÜRKISCHE NACHRICHTEN

Freitag, 2. März 2012

IDIZEM e.V. lädt ein: Die Gülen-Bewegung


Buchvorstellung und Diskussion mit Prof. Dr. Helen Rose Ebaugh
(University of Houston)


Die Religionssoziologin und Professorin für die Erforschung der Weltreligionen, Helen Rose Ebaugh, beschreibt in ihrer empirisch angelegten Studie anhand von Interviews und Besuchen vor Ort die Gülen-Bewegung aus soziologischer Perspektive. Diese, so ihr Ergebnis, ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die im gemäßigten Islam verwurzelt ist. Sie hat sich weltweit ausgebreitet, da in vielen Gesellschaften Integration durch Bildung und die Förderung des interreligiösen und interkulturellen Dialogs von großer Bedeutung sind. Die Anhänger Gülens engagieren sich im Bildungsbereich, in dem sie Schulen und Nachhilfezentren gründen. Mit zahlreichen Dialogvereinen bemühen sie sich um Integration und Dialog. Eine große Tageszeitung sowie Fernsehsender und Zeitschriften fühlen sich den Werten verbunden, die Gülen unterstreicht. Die Vielzahl der Institutionen, die von den Ehrenamtlichen der ''Hizmet''-Bewegung gegründet wurden, stößt auch in Deutschland auf großes Interesse. Kritiker werfen der Bewegung jedoch vor, eine unterschwellige islamistische Agenda zu vertreten.

- Wer ist Fethullah Gülen und was beabsichtigt die sogenannte Hizmet-Bewegung? 
- Was sind ihre finanziellen Grundlagen? Wie konnte sie sich weltweit so schnell verbreiten?
- Was motiviert die einzelnen Freiwilligen zum Engagement?

Sowohl Wolfgang Günter Lerch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch Matthias Daum von der Neuen Zürcher Zeitung stellten dieses Buch bereits vor. 

Helen Rose Ebaugh ist Professorin für Religionssoziologie und Erforschung der Weltreligionen an der University of Houston. Sie veröffentlicht in diesem Buch die Ergebnisse einer fünfjährigen Forschungsarbeit.

In Kooperation mit: Amerika Haus München


Titel: Die Gülen-Bewegung - Eine empirische Studie
Referentin: Prof. Dr. Helen Rose Ebaugh (University of Houston)
Datum: Samstag, 24. März 2012, 19.00 Uhr (Einlass: 18:30 Uhr)
Eine Simultanübersetzung wird angeboten.


Ihre Anmeldung (obligatorisch) richten Sie bitte an info@idizem.de


Das Buch ist im Herder Verlag erschienen und ist ab sofort erhältlich.

Verlag Herder
Format: 13,5 x 21,5 cm, ca. 220 Seiten, Kartoniert

ISBN 978-3-451-30604-4
€[D] 9,95